Rezension
Zwischen untergetauchten Nazis und dem Erlernen der Demokratie
Der neue Roman von Konrad Peter Grossmann beleuchtet österreichische Lebensrealitäten in der Zeit der sowjetischen Besatzung
Die Romane des Psychotherapeuten Konrad Peter Grossmann liegen wie merkwürdige Findlinge in der Literaturlandschaft der Gegenwart, unbeirrt vom belletristischen Zeitgeist folgt der in Gallneukirchen lebende Autor dem traditionsreichen Konzept des realistischen Zeit- und Gesellschaftsromans und dessen weiten epischen Dimensionen. Nicht weniger als vier Bände eines auf fünf Teile konzipierten Zyklus hat Grossmann seit 2020 veröffentlicht, Durchschnittslänge 600 Seiten.
Räumlich werden das umfangreiche Personal und das verzweigte Geschehen durch den Handlungsraum Österreich und Russland zusammengehalten, zeitlich erstrecken sich die Ereignisse von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, wobei der Eisenbahnbau ein wiederkehrendes Kernmotiv ist. Die Handlungszeit des im Vorjahr erschienenen einen Bandes „Es ist so unendlich still hier“ war das letzte Jahr des Ersten Weltkriegs, der Schauplatz hauptsächlich Russland.
Alltag in materieller Dürftigkeit
Mit dem vierten Band „Stadt Land Fluss“ kehrt Konrad Peter Grossmann nach Österreich zurück. Krieg und NS-Herrschaft sind seit fast acht Jahren vorbei, aber die Folgen sind immer noch spürbar.
Materielle Dürftigkeit beherrscht das Alltagsleben der meisten Menschen und der Freiheitsspielraum wird maßgeblich von den Besatzungsgruppen definiert. Dazu gesellen sich unerwünschte aber übliche Begleiterscheinungen: Machtmissbrauch, Opportunismus, Denunziation, Schwarzhandel und untergetauchte Nazis, die ihrem Führer treu geblieben sind. In der sowjetischen Besatzungszone Niederösterreich, nah an der Grenze zum amerikanisch besetzten Oberösterreich, bringt Konrad Peter Grossmann die Hauptfiguren seines Romans miteinander in Kontakt, unter anderem den aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassenen Hans, die Bibliothekarin Barbara, den jüdischen Gymnasiallehrer Heinrich Liebermann, auf russischer Seite Irina Sukowa, Tochter eines jüdischen Arztes und Offizierin der Roten Armee die in Bedrängnis gerät weil sich der vom Tod gezeichnete Stalin von jüdischen Ärzten verfolgt fühlt.
Manchmal überfrachtet
Wie schon in den Vorgängerromanen ordnet Konrad Peter Grossmann den einzelnen Kapiteln immer eine Figurenperspektive zu. Dadurch erleichtert er es seinen Lesern, den Überblick zu bewahren. Manchmal überfrachtet er allerdings das perspektivische Erzählen mit umfangreichen historischen und politischen Wissensinhalten, was zwar informativ ist aber erzähltechnisch nicht immer plausibel wirkt.
Das gilt auch für allzu ausführliche Inhaltsangaben zu Büchern, die Grossmann seine Figuren lesen lässt. Unabhängig davon folgt man aber als Bücherfreund gerne den Einblicken in die Lesefreuden der Fünfzigerjahre, von William Prescotts „Die Eroberung Mexikos“ bis zu den heute fast vergessenen Romanen von Ernst Wiechert.
Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten vom 15. April 2024.