Bali – Hinter der Fassade

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ISBN: 978-3-902964-01-4
Herausgeber: Moog Thomas
Autoren: Moog Thomas, Honisch Pascal, Indrak Hannah-Maria, Mückler Hermann, Mückler-Liendl Rafaela, O´Rourke Iris, Öztürk Elif, Reitter Matthias, Reitter Victoria, Tattyrek Denise, Thiard-Laforet Susanne, Wildschek Larissa, Würleitner Karina, Ye Weiwei
Seiten: 230

Beschreibung

„Trauminsel Bali“, das ist das wohl meistgebrauchte Attribut für die kleine Sundainsel. Noch vor hundertfünfzig Jahren war Bali jedoch der Albtraum schlechthin: Für die holländischen Kolonialtruppen uneinnehmbar – 33.000 balinesische Kämpfer, die bereit waren, für ihre Freiheit ihr Leben zu lassen. 1908 hatten die Holländer das, was sie wirklich wollten: Dem Erdboden gleichgemachte Tempel und Paläste und einen Sieg um den Preis unzähliger Toter. Doch es war ein Pyrrhussieg, denn die menschenverachtende Brutalität hatte den Ruf der Kolonialmacht schwer beschädigt.

Allmählich wurde „die kostbare Schönheit“ als Tourismus-Ziel entdeckt; Bali sollte ein neues, seliges Tropeneiland werden, voll unberührter Natur und halbnackter Menschen. Schließlich überstanden die Balinesen die Wirren des Zweiten Weltkriegs, darunter die japanische Besatzungszeit mit Plünderungen und Vergewaltigungen, das Ende westlicher Kolonialherrschaft und schließlich die Inkorporation in die neue, mehrheitlich islamische Republik Indonesien.

Der Neuanfang für Bali-Reisende begann in den 1960er Jahren, und mit der Eröffnung des internationalen Flughafens Ngurah Rai wurde durchgestartet. Erst verrauchten Hippies die Insel, anschließend kamen die Surfer und soffen die Insel leer, doch dann kam der große Knall: Am 12. Oktober 2002 explodierten zwei Bomben auf Bali, 202 Menschen kamen ums Leben. 2005 erfolgten weitere Anschläge. Urheber waren islamistische Terroristen. Balis Touristenzentren leerten sich schlagartig. Doch sie blieben nicht lange so ausgestorben. In nur wenigen Jahren erreichte der Tourismus sogar noch höhere Werte als vor 2002.

Heute bietet Bali das Bild der Insel für den Traumurlaub schlechthin. Neben Einrichtungen für die Seelenmassage besteht eine hochkarätige touristische Infrastruktur: Luxushotels mit Pools, Shopping-Meilen mit allen exklusiven Marken, Abenteuerparcours mit Elefanten oder Kamelen, Bungee-Jumping oder Wildwasser-Rafting.
Karl With schrieb in seinem Vorwort zu dem 1922 erschienenen Buch „Insel Bali“, in dem Gregor Krause mit seinen Fotos den Grundstein für das weltweite Interesse an der Insel legte: „Bali erscheint uns deshalb wie ein Traum, weil hier ein bei uns längst verlorenes … Naturgefühl in den Menschen noch eine Lebensfähigkeit erhalten hat, die erst jetzt durch die Europäer zerstört werden wird.“ Ist also wirklich schon alles kaputt? Oder hat nicht doch die Geschichte ein Überleben dieser „Lebensfähigkeit“ bewiesen?

Oberflächlich betrachtet bedient Bali perfekt sein Klischee. Doch wie sieht das wirkliche Leben der BalinesInnen aus? „The decline in quality of life for Balinese has been the cost they have paid for their prosperity“, sagt Adrian Vickers in seinem Schlusswort zu „Bali – A Paradise Created“ (2012). Zweifelsohne haben Modernisierung und Globalisierung Veränderungen im Alltagsleben verursacht. Doch hier ist in erster Linie der äußere Rahmen betroffen, der nach außen offene, auch Fremden zugängliche Teil des Lebens.
Der intime, familiäre und traditionelle Bereich hat all diese Entwicklungen weitestgehend unbeschadet überstanden. So kann heute noch von einem kulturellen Bereich Balis gesprochen werden, in dem nach wie vor ungebrochene Kontinuität herrscht, der allerdings ständiger Konfrontation mit jenen Bedingungen ausgesetzt ist, die das Image des Ferienparadieses fordert.

Diese Ambivalenz zu erforschen, war das Anliegen einer Gruppe von Forschern und Forscherinnen aus Wien. Jede(r) von ihnen stellte sich ein persönliches Thema, das sie nun vor Ort systematisch bearbeiteten.

Über die Autoren

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Karina Würleitner analysiert Aspekte der Architektur Balis: Schutzfunktionen gegenüber ungewollten Einflüssen der spirituellen und irdischen Welt, Einflüsse aus der Kolonial- und späteren Hotelarchitektur etc. Bei der Tempelarchitektur betont sie den Bautypus als eine „Abbildung des geordneten Kosmos“.
Ob in Tempel- oder Hausanlagen, an Straßenkreuzungen, auf Skulpturen oder Autos: Überall findet man Opfergaben. Für viele Fremde sind diese kleinen Kunstwerke Rätsel.

Denise Tattyrek hat sich in vielen Gesprächen dem Wesen der Opfergaben genähert. Sie beschreibt, wie eng die Bevölkerung mit der Umwelt und vor allem auch mit der ‚unsichtbaren‘ Welt in Verbindung steht.

Wie sich die auf Bali vorherrschende „Viel-Götter-Religion“ Hinduismus zu einem strikten Monotheismus entwickelt hat, analysiert Iris O’Rourke. Sie beleuchtet detailliert politische Hintergründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben, ebenso wie aktuellere Bewegungen. Und auch, was es bedeutet Atheist zu sein.
Muslime stellen auf Bali nur eine Minderheit dar, während sie innerhalb der Republik Indonesien die Mehrheit stellen.

Elif Öztürk beschreibt die historische Entwicklung muslimischer Zuwanderung auf die Insel Bali sowie die kulturellen Einflüsse, die sich in der ansässigen Hindukultur auffinden lassen. An konkreten Beispielen zeigt sie Schwankungen in den Beziehungen Angehöriger beider Religionsgemeinschaften im Laufe der Jahrhunderte auf; die Bombenanschläge zu Beginn des Jahrtausends waren ein neuerlicher Konfliktstoff.

Das Schicksal einer anderen Minderheit, jener der Chinesen, bearbeitet Wēiwēi Yé. Sie führte zahlreiche Interviews mit ChinesInnen, die die Gewalttaten der Jahre 1965 und 1966 noch persönlich erlebt haben. Das Gefühl, in einem Land zu leben, das der chinesischen Minderheit nur zögerlich bestimmte Rechte zugesteht, wird hier in authentischer Weise offenbar. Bis heute wird dieser Abschnitt der Geschichte nur sehr diskret behandelt.

Pascal Honisch begeisterte sich sehr schnell für die auf Bali, vor allem bei Tempelzeremonien, anzutreffende Gamelan-Musik. Mit Akribie sammelte er systematisch Daten über Instrumente, den Aufbau von Orchester-Konstellationen, und wie diese Musikform tradiert wurde und wird. „Auch über die Grenzen der Insel hinweg wird dem balinesischen Gamelan längst Aufmerksamkeit und Bedeutung geschenkt, seine Ästhetisierung kann dabei als Fluch und Segen zugleich betrachtet werden.“

Innerhalb der bildenden Kunst auf Bali nimmt die Holzschnitzkunst einen breiten Platz ein. Hannah Indrak widmet sich besonders dem Stand der Holzschnitzer und inneren Hierarchie. Während in vortouristischer Zeit bei der Produktion von Schnitzereien keinerlei finanzielle Aspekte zum Tragen kamen – die Objekte dienten überwiegend sakralen Zwecken – beeinflussen mittlerweile Arbeitszeitabgeltung, Marktbeschaffenheit und Absatz die Produktpalette entscheidend.

Frauen unterliegen auf Bali während ihrer Menstruationszeit bestimmten Verboten, z.B. Tempel zu betreten. In der Analyse von Victoria und Matthias Reitter werden die Begriff Tabu und Tabubruch diskutiert, bezüglich letzterem auch die ethischen Konsequenzen und wie sich eine Touristin in solchen Fällen verhalten kann. Anhand von Beispielen werden ähnliche Verbote auch in anderen Kulturen, und selbst – verdeckte – Tabus der westlichen Welt aufgezeigt.

Rafaela Mückler-Liendl schildert den Aufschwung der Insel zur berühmten Feriendestination, und wie touristischer Voyeurismus und die Aussicht auf sexuelle Freiheiten wichtige Rollen spielten. Insbesondere wird dies in Bezug auf Homosexualität und Prostitution beleuchtet. Der Unterschied im Umgang mit diesen Problemstellungen zwischen muslimischen und hindu-balinesischen Betroffenen und die daraus erwachsenen Strategien zeigen, zumindest vorläufig, eine Abstinenz von Radikalismen.

„Kultur. Raum. Tourismus. Bali“ (Susanne Thiard-Laforet) geht auf Einflussfaktoren und Auswirkungen des Tourismus ein, ebenso wie auf die Mitgestaltung von „Räumen“ durch (vorübergehend) anwesende Fremde. Die Interviews ergeben eine überaus kritische Positionierungen von BalinesInnen gegenüber dem Tourismus.